Der Giersch

Eine weitere Erfahrung mag für Gartenbesitzer besonders interessant sein.

Fast jeder hat, wenn er sich selbst um den Garten kümmert und natürliches Wachstum schätzt, schon einmal Kontakt mit Giersch gehabt. Er ist neben Väterchen Brennessel das „Rauhbein“ in den schattigen Bereichen nordeuropäischer Gärten. Manch einer hat einen territorialen Kampf mit ihm ausgefochten.
Wir hatten ihm seinerzeit eine Nordecke angeboten, wenn er uns im Gegenzug in den anderen Regionen verschont. Diesen Deal hatte er angenommen und wir haben tatsächlich bereits über ein Jahrzehnt des Friedens hinter uns. vor 4 Jahren wurde sein Nord-Reservat von den dominanten Hortensien erobert. Er hatte dort nur noch das zeitige Frühjahr zum Grünen, aber zur Blütezeit im Juni keine Chance mehr, so dass ich seine Blüten schon lange nicht mehr bewusst gesehen hatte. Andererseits schätzen wir ihn mit seinen jungen Blättern mittlerweile als einen wichtigen Teil in unserer 9-Kräuter-Suppe.
Vor einiger Zeit stand ich im Südwesten vor dem mächtigsten Hollerbusch des Zaubergartens, als mein Blick in das Unterholz fiel, weil eine weiße Doldenpracht mich von dort her ansprach.

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Da es sich um eine der vielen Umbelliferen handelte, von denen manch eine, wie zum Beispiel die Wilde Möhre, von besonderer aromatischer Qualität ist, war mein Interesse schnell geweckt. Die Wilde Möhre war es sicher nicht, weil der schwarze Punkt in der Blüte fehlte. Die Doldenblütler sind ja die Meister der Blattausbildung von filigranster Feinheit wie bei der Dillpflanze bis hin zu den gewaltigen Blättern des Riesenbärenklau ist alles vertreten. Erst als ich das Blatt genauer betrachtete, erkannte ich schlagartig: es war der Giersch! Er hatte sich ein neues Territorium unter dem Schutz von Frau Holle gesucht.
Das wollte er mir mitteilen. Später las ich bei Wolf-Dieter Storl, dass er sogar deshalb volkstümlich Erdholunder und Hölderlichrut genannt wurde, weil er besonders gerne unter Holunderbäumen wächst.

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Zunächst betrachtete ich seinen Blätterstiel, der wie eine Hand mit sieben Fingern nach dem Licht greift. Das universelle Schöpfungsprinzip der Drei in der Spitze und 2 x 2 Unterblätter für die Herausforderungen der elementaren Welt, ist die insgesamt eine starker Symbolik für den Lebensprozess auf unserem Planenten. Dann zog ich einen Stiel aus dem Boden, der sich leicht mit einem schmatzenden Geräusch von den Wurzeln löste und betrachtete den Stiel als solchen. Unten rötlich und nach oben grünlich verlaufend, hatte er durchaus etwas von einem Mini-Rhabarber. Man könnte ihn tastend als dreieckig bis u-förmig im Querschnitt bezeichnen. Als ich mir jedoch die Abrissstelle anschaute, blickte mir ein Herz entgegen.

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Und dann hielt ich den Abriss an die Nase und genoss den erdig-würzigen Duft mit einer leichten hintergründigen Schärfe, die zu der roten Farbe passte und vom Feuer-Element kündigte. Insgesamt ein sehr erbaulicher Moment, der mich einmal mehr mit dem Giersch in Kontakt brachte. Interessant ist dies, wenn man weiß, dass der Geißfuß – wie diese Pflanze auch genannt wird – das klassische Volksheilmittel gegen die kalte Gicht war.
Die filigranen Doldenblüten, die sich innerhalb kurzer Zeit explosionsartig entfalten und zu einem Strahlenstern von heranreifender Saat verwandeln, waren es aber, die mich angesprochen hatten.
Die kurze Blütezeit sollte ich nutzen, damit dieser Bewohner des Zaubergartens noch bewusster in das gemeinsame Werk einbezogen würde.

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Jetzt verstand ich, dass er mir seine Blüten zum Räuchern angeboten hatte. Ich trocknete sie und war sehr angetan von der feinherben und tiefgründigen Qualität des Räucherdufts, den ich energetisch als sehr stärkend wahrnehmen konnte.

Als ich ihn bei nächster Gelegenheit in einer Gruppenarbeit einsetzte, zeigt er sich von der närrischen Seite und löste extreme Lachanfälle in der ganzen Gruppe aus. Noch am nächsten Tag fühlten sich alle noch „ganz giersch“. Er zeigte uns sozusagen den ver-rückten Blickwinkel auf die reale Welt, den kosmischen Witz hinter all dem, was uns sonst u.U. erstarren lässt. In der Beweglichkeit liegt die Stärke dieser erstaunlichen Pflanze. Die Begegnung war sehr eindrucksvoll.

Ein Gedanke zu „Der Giersch

  1. Yenene

    Lieber Thomas,
    auch hierzu nochmal ein Danke an Dich.
    Das wunderbare Girschbild das Du mir zum Abschluss geschenkt hast,
    krönt seitdem meinen kleinen Wohnaltar und erinnert mich täglich an meine
    Narrenfreiheit und die damit verbundene Einladung, mein Potenzial nach aller Herzenslust ohne Einschränkung zu leben. Ebenso esse ich regelmäßig Gierschpesto, welches ich mir über das Jahr verteilt immer wieder herstelle, um von der bodenständigen “Unverdrängbarkeit“ in aller Stärke zu profitieren.
    Fühl Dich gierschstängelig geherzt,
    Yenene

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